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Nichts wie hin: Aktuelle Ausstellungen im Blick

Hier möchte ich (nun auch gemeinsam mit Kolleg:innen!) das Vergnügen teilen, Kunst und anderes Visuelles in Ausstellungen wahrzunehmen: als Einladung zum „sehenden Sehen“ (M. Imdahl), zum kommunikativen Austausch und zur reflektierten Auseinandersetzung. Idealerweise sollen Sie in nur 3-5 Sätzen erfahren, ob und warum sich auch für Sie ein Weg in diese Ausstellung lohnt…

Die Fotos (wenn nicht anders gekennzeichnet) wurden von den Autor:innen selbst in der jeweiligen Ausstellung aufgenommen.

Mannheim, Kunsthalle: Tavares Strachan: SUPERNOVAS (bis 24. August 2025)

Kuratiert von Luisa Heese, zeigt die noch bis zum 24.08.2025 in der Mannheimer Kunsthalle zu sehende große Retrospektive des 1979 auf den Bahamas geborenen Künstlers Tavares Strachan eine repräsentative Auswahl aus seinem bisherigen Schaffen. Die oft Disziplinen und Gattungen übergreifenden Werke erkunden Themen wie Wissenschaft, Raumfahrt, Erinnerung, Hegemonie, Identität und Kultur, welche untereinander verschränkt werden. So widmet sich ein Strang von Strahans Arbeiten der systematischen Ausgrenzung bestimmter Persönlichkeiten aus unserer Erinnerungskultur – ihnen möchte der Künstler mit seiner 2014 begonnenen „Encyclopedia of Invisibility“, einem Lexikon mit Einträgen zu üblicherweise marginalisierten Personen des öffentlichen Lebens, wieder zu Sichtbarkeit verhelfen. Einer der dort Verzeichneten ist der erste schwarze amerikanische Astronaut Robert H. Lawrence Jr., der 1967 bei einem Unfall starb, ehe er ins All fliegen konnte. Ihm widmete Strahan nicht nur eine 2018 geschaffene, von einer Audiospur begleitete Neon-Schrift-Installation sowie eine im gleichen Jahr vollendete lebensgroße Neon-Skelett-Skulptur, sondern auch ein Projekt namens „Enoch“, bei dem er Lawrence doch noch – wenigstens symbolisch – in Form eines die Züge des Astronauten tragenden goldenen Gefäßes 2019 in die Erdumlaufbahn schießen ließ. Ebenfalls die Züge von Lawrence trägt eine Gipsbüste, welche, gemeinsam mit anderen Portraits, ein goldenes DJ-Pult in Strachans multimedialer und begehbarer „Intergalactic Hut“ von 2024 einfasst. Zudem experimentierte Straghan selbst 2009 mit nachhaltigerer Raketentechnik und absolvierte im gleichen Jahr, damit in Lawrences Fußstapfen tretend, ein Kosmonautentraining. Die Mannheimer Ausstellung gruppiert diese Werke und Aktivitäten zu einer Augen und Ohren ansprechenden, faszinierenden Erkundungsreise. 

Ein goldenes Gefäß und ein Gegenstand in einer Museumsvitrine

München, Museum Brandhorst: Fünf Freunde (bis 17. August 2025)

Wie eng das Schaffen von fünf Protagonisten der amerikanischen Nachkriegs-Avantgarde (John Cage, Merce Cunningham, Robert Rauschenberg, Cy Twombly und Jasper Johns) miteinander verbunden war, zeigt die Ausstellung im Museum Brandhorst München (und danach im Museum Ludwig in Köln): Hier kann man anhand von teilweise legendären Kunstwerken und zahlreichen Brief-, Foto- und Video-Dokumenten nachvollziehen, wie die spielerische Leichtigkeit und gleichzeitig Ernsthaftigkeit in den Gestaltungen dieser Künstler auf der Grundlage von Lebens- und Liebesbeziehungen wachsen konnte, in denen sich die eigene künstlerische Individualität im Austausch mit anderen formte. Beeindruckend auch die technische Freiheit und Experimentierfreude, mit denen jeder der Fünf originelle Mittel einsetzte, um über die Gattungsgrenzen von Musik, Tanz, Malerei, Skulptur und Zeichnung hinweg an Sinn und Sinnlichkeit reiche Erfahrungen zu ermöglichen. 

Blick in einen Ausstellungsraum mit Grafiken, Videos und Bühnenkostümen

Potsdam, DAS MINSK: Im Dialog - Sammlung Hasso Plattner: Kunst aus der DDR (bis 10. August 2025)

Das Gemälde Portrait Henry Schumann von Arno Rink (1968) setzt das Thema der Ausstellung: Dialog. Der porträtiere Kunsthistoriker und -kritiker führte bis 1976 20 Interviews mit Künstler:innen der DDR in einem Band zusammen. Die Ateliergespräche, erschienen im Verlag VEB E. A. Seemann, werden in der Ausstellung prominent und nachvollziehbar präsentiert und erlauben einen Einblick in das Denken und Wirken all jener Künstler:innen, deren Werke aus der Sammlung Hasso Plattners gezeigt werden. Des Dialoges nicht genug, werden großen Namen (Heisig, Mattheuer, Tübke etc.) Positionen gegenübergestellt, die der DDR Kulturpolitik mindestens als unliebsam einzuordnen sind (Cornelia Schleime etc.). Unbeantwortet bleibt der Dialog in Postkartenform – Besucher:innen dürfen öffentlich auf Fragen reagieren (Was bedeutet es für Sie im Osten/Westen aufgewachsen zu sein? Mit wem würden Sie gern in Dialog treten?) und so eigene Lebenswirklichkeit und Diskussionskultur offenbaren.

Ein Besuch des 1977 als Terassenrestaurant im s.g. Brauhaus Ensemble konzipierten Hauses, das seit 2022 wieder der Öffentlichkeit zugänglich ist, lohnt sich ob seiner architektonischen Bedeutung auch fernab der aktuellen Ausstellung unbedingt! 

Eine Skulptur von Wolfgang Mattheuer auf dem Dach des MINKS in Potsdam

Basel, Kunstmuseum: Medardo Rosso: Die Erfindung der modernen Skulptur (bis 10. August 2025)

Diese Ausstellung macht nachvollziehbar, wie ein neuer Blick ausgehend von dem heute wenig bekannten Italiener Medardo Rosso (1858-1928) die moderne Skulptur bestimmt hat: Der Künstler variierte bestimmte plastische Motive immer wieder in Wachs und Abgüssen davon und inszenierte seine Arbeiten selbst in zahllosen Fotografien – an die Stelle statischer Monumentalität tritt so eine Vielfalt flüchtiger Erscheinungen, in denen sich emotional aufgeladene Formen aus der „Ungestalt“ des Materials immer wieder neu herausschälen. Wie anregend dieses Spiel zwischen Formlosigkeit und Form auf andere Künstler:innen wirkte und bis heute wirkt, zeigt die von Heike Eipeldauer zuerst für das MUMOK Wien hervorragend kuratierte Schau in der Gegenüberstellung mit mehr als 60 historischen und zeitgenössischen Skulpturen, Gemälden, Fotografien und Videos. Ein lohnendes Erlebnis!

Eine Frauenbüste von Medardo Rosso, im Hintergrund betrachtet ein Besucher ein anderes Werk

Basel, Haus der Elektronischen Künste: Andere Intelligenzen (bis 10. August 2025)

Diese Ausstellung fordert „Verständnis und Empathie für andere Formen von Intelligenz“ – aber Achtung, bemühen Sie Ihre grauen Zellen nicht zu sehr: Denn der im menschlichen Hirn verankerte Verstand soll zur Verbesserung der globalen Situation zurückgenommen werden zugunsten von Problemlösern aus der Tier- und Pflanzenwelt, und ChatGPT und Co. werden als Entsprechung solcher organischer „Intelligenz“ apostrophiert. Das Problem ist, dass diese organischen Alternativen von vielen Werken allein auf der Inhaltsebene dargestellt werden, mit dem in der Szene üblichen Bricolage-mit-High-Tech-Formvokabular und fast ohne jenes Spiel der Darstellungsmittel mit der Wahrnehmung und Selbst-Reflexion, das in Beanspruchung der mentalen Prozesse der Betrachter:innen Kunst erst als solche wirken lässt. Fehlt den Werken dies trotz aller Bemühungen um visuelle Beeindruckung, liegt der Kitschverdacht nahe… 

Gehen Sie auf jeden Fall noch achthundert Meter weiter ins Schaulager - dort lässt Steve McQueen mit seiner Installation „Bass“ bis 16. November 2025 mit ganz reduzierten Mitteln erleben, wie Kunst funktionieren kann.

Ein rollbares Baugerüst, auf dem zwei Behälter mit Pilzkulturen und Sensoren angebracht sind und darunter fluoreszierende Nachbildungen von Pilzen im Waldboden

Darmstadt, Kunsthalle: Eingebrannt. Malerei, Lyrik und Neue Musik aus der DDR (bis 29. Juni 2025)

Dass Individualität und Eigensinn für die künstlerische Existenz gerade auch in der DDR bestimmend waren, verdeutlicht diese eindrückliche und verdienstvolle Ausstellung, die eine Künstler:innen-Auswahl jenseits des festgefahrenen Kanons der „DDR-Kunst“ („Leipziger Schule“ usw.) findet. Das Zusammenspiel von Gemälden, Gedichten und Audiostationen deutet an, dass nicht in Gattungsgrenzen, sondern in Wirkungen für das Subjekt gedacht wurde. Dabei war Freiheit keine Handelsware [vgl. unten zur „Para-Moderne“ in Bonn], sondern musste gegen das System ertrotzt werden – das Gemeinschaftliche dieses ständigen Ringens lässt sich jeden Donnerstagabend im Begleitprogramm mit Zeitzeugen in der Kunsthalle Darmstadt am besten nachvollziehen!

Fünf Personen sitzen im Ausstellungsraum an einem Tisch und sprechen vor Publikum miteinander

Bonn, Bundeskunsthalle: Para-Moderne. Lebensreformen ab 1900 (bis 10. August 2025)

Ein auf die Behauptung höherer Einsichten gestützter Hyper-Individualismus erweist sich in dieser materialreichen Zusammenschau als um 1900 auftretende Massenerscheinung, in der Freiheit letztlich zum Produkt wird: Die „ästhetische Praxis einer bürgerlichen Fluchtbewegung“ (Janos Frecot, bezogen auf die Flucht vor dem zeitgenössischen Rationalismus) wird in der Bonner Ausstellung eindrucksvoll bis zu den kalifornischen Hippies fortgeschrieben – die Spannung zwischen Affirmation und Kritik solcher Phänomene bleibt dabei wohl absichtsvoll unaufgelöst. Die Saaltexte begründen die beziehungsreiche Werkauswahl instruktiv, aber oft möchte man genaueres über die spannenden Objekte und Kontexte erfahren. Auch der Katalog (42 €) leistet dies leider nicht. Also vor dem Besuch etwas anderes lesen, etwa das kluge Buch (1972/1997) von Frecot/Geist/Kerbs über Fidus (1868-1948), der mit seinen auch in der Bonner Ausstellung zentralen Bildprägungen den Kult um das Aussteigertum befeuerte. 

Übrigens: Auch eher für Informierte ergiebig ist die Ausstellung „Susan Sontag – Sehen und gesehen werden“, bis 28. September 2025 ebenfalls in der Bundeskunsthalle.

Eine Vitrine zeigt zahlreiche Autogrammfotos des „Aussteigers“ Gustav Nagel vom Anfang des 20. Jahrhunderts

Paris, Jeu de Paume: Le monde selon AI (bis 21. September 2025)

Diese Ausstellung über „die Welt durch KI“ gibt zu denken: Von dem Medientheoretiker Antonio Somaini vor dem Hintergrund einer Unterscheidung von „analytischer“ und „generativer“ KI konzipiert, erfährt man nicht nur vieles über die mit Künstlicher Intelligenz verbundenen historischen Voraussetzungen, sozialen Abhängigkeiten und ökologischen Folgen, sondern erlebt etwa auch das zweifelhafte Vergnügen, von Trevor Paglen zum Objekt professioneller Kategorisierung anhand äußerer Merkmale gemacht zu werden (vgl. Insta-Post von Henry Keazor, Mitte Mai 2025). Mit der im zweiten Teil von Somaini anhand künstlerischer Auseinandersetzungen mit KI entfalteten These, wonach diese Technologie „latente Räume“ konstituiert, die weder real noch virtuell sind, wird sich eine künftige Theorie von KI(-Kunst) noch auseinandersetzen müssen… Unbedingt genug Zeit für die Ausstellung einplanen – und: ZKM, bitte übernehmen Sie!

Das Filmbild einer Frau im Swimmingpool wird überlagert von fingierten KI-Analysen der Bildinhalte

Paris, Fondation Louis Vuitton: David Hockney 25 (bis 31. August 2025)

Der Malerstar David Hockney ist in dieser großen Retrospektive in voller Breite zu erleben, von frühen gemalten Auseinandersetzungen mit menschlichen Beziehungsfragen über grandiose Landschaften bis zu einer Fülle von Porträts und malerischen Selbst-Spiegelungen. Erkunden lässt sich ebenfalls, wie Hockney seine virtuose Zeichenkunst schon früh elegant in das Medium des „Malens“ mit dem iPad überführt hat. Als verschmitzter Augenschmeichler erweist er sich nicht zuletzt auch in den als immersive chill-out-Area präsentierten Arbeiten für die Opernbühne… Die Ausstellung fordert und erhält Hingabe vom Publikum!

Museumsbesucher sitzen vor einer Wand mit Porträtgemälden von David Hockney

Stuttgart, Staatsgalerie: Stand Up! Feministische Avantgarde. Werke aus der Sammlung Verbund, Wien (bis 22. Juni 2025)

Insbesondere inszenierte Fotografie wirkt hier als Medium weiblicher Selbstermächtigung, von spielerischer Rollensuche bis zu sarkastischem Re-Enactment männlicher Dominanzposen. Wie politisch das Private schon in den 1970ern gesehen werden konnte, zeigen Künstlerinnen wie Renate Eisenegger, Hannah Wilke und Martha Wilson – für mich spannende Entdeckungen neben bekannten Größen wie Cindy Sherman oder der aktuell (endlich) viel gezeigten Annegret Soltau!

Bild: Anna Kutera (geb. 1952 in Zgorzelec/Polen): Feministische Malerei, 1973/2022 [Ausschnitt]